schöpferische Tätigkeit offenbart, beweist, daß die geistige Potenz die Natur als den anderen Teil ihrer selbst, als ihren Kontrast empfindet. So ist das Verhältnis des Künstlers zu seiner Innen- und Umwelt ein Konstrastverhältnis.
Ich habe es für nötig gehalten, meinen Vortrag mit dieser kurzen metaphysischen Einführung zu beginnen, damit das wahre Verhältnis des Künstlers zur Natur geklärt wird. Der große Unterschied zwischen den Künstlern der Vergangenheit und den Künstlern der Gegenwart besteht eben darin, daß die letzteren sich über dieses Verhältnis vollkommen im klaren sind. Sie stehen als bewußte schöpferische Menschen in der Welt, während die alten Künstler, die Verehrer des Unbewußten, gezwungen waren, sich auf eine intuitive tierische Spontanität zu verlassen. Das Gefühlsmoment überwiegt meistens in ihren Werken und zwar in der Form einer tragischen Gestalt. (Beispiel: Sasatto [Sienesische Schule]: Johannes der Täufer.) Im Tragischen zeigt sich am stärksten das Kampfmoment, das heißt der Wille zur Überwindung der Natur. Das Tragische in der Kunst ist der psychologische Ausdruck des unvollkommenen zerrissenen Menschen, der glaubte, daß die großen Gegensätze, welche er sich primitiv als Diesseits und Jenseits, als Himmel und Erde, als das Gute und Böse dachte, niemals in vollständige Harmonie zu bringen war.
Drückte der unvollkommene Mensch in das Tragische, das schwere Erdische, das äußerste Eine aus, so versuchte er im befreiend Engelhaften das äußerste Andere, das leichte Himmlische auszudrücken. (Beispiel: Fra Angelico: Aufsteigende Engel.) Den Ausgleich zwischen diesen beiden Extremen konnte er nur durch ein Symbol, z. B. durch Christi Himmelfahrt zum Ausdruck bringen. (Beispiel: Grünewald: Christi Himmelfahrt.) Nun erklärt es sich auch, warum bis weit in die Renaissance hinein die christliche Tragödie noch immer Gegenstand der Kunst blieb, obschon durch wissenschaftliche und philosophische Hygiene der Zweifel
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